Warum Rotkäppchen keine Angst mehr vor dem bösen Wolf hat
Wer am Donnerstagabend der Lesung von Ulrike Bliefert in unserer Buchhandlung gelauscht hat, der dürfte auf dem Heimweg wohl kaum einen Anhalter mitgenommen haben. Denn davon hatte die Schauspielerin und Autorin mit ihrer Kriminal-Kurzgeschichte „Rauhnacht“ auf literarische Art ganz dringend abgeraten. Schließlich bekommt es dem Protagonisten überhaupt nicht, eine hübsche junge Anhalterin in sein Auto zu lassen. Dabei bildete der kurzweilige Mini-Eifel-Krimi lediglich den humorvollen Abschluss des Abends. Hatte es sich unser Gast am Ende doch zur Aufgabe gemacht, die angespannte Stille, die während der Lesung aus „Die Samariterin“ geherrscht hatte, ein wenig aufzulockern.
Der Thriller von Ulrike Bliefert um eine junge Frau, die eine Beziehung mit einem inhaftierten Mörder eingeht, hat es wahrlich in sich. In Knastkreisen werden solche Frauen auch Rotkäppchen genannt. „Weil sie das Gefühl haben, sie hätten einen bösen Wolf gezähmt“, erklärte Ulrike Bliefert, die ihrem Thriller eine intensive Recherche, unter anderem in einer Justizvollzugsanstalt, vorangeschickt hat. Fasziniert von dem in Fachkreisen auch Hybristophilie genannten Phänomen, hat die Autorin einen Thriller über eine Frau geschrieben, die sich zu einem Schwerstverbrecher hingezogen fühlt.
Allein der Lesestoff von „Die Samariterin“ reicht für Hochspannung beim Leser. Verstärkt wurde diese noch einmal durch den intensiven Vortrag unseres Gastes. Wenn die bekannte Tatort-Darstellerin und Autorin von Drehbüchern und Romanen den Gedanken ihrer Heldin Susanne Kleinschmidt eine Stimme verlieh, zauberte sie filmreife Bilder in die Köpfe ihrer Zuhörer.
Ganz nebenbei verfügt Ulrike Bliefert als Autorin über eine ausdrucksstarke Sprache, die mit wenigen Worten auskommt, um ein umfassendes Bild vom bis dato traurig-tristen Leben der Susanne zu zeichnen: die Unsicherheit der jungen Frau, die Boshaftigkeit ihrer pflegebedürftigen Mutter – und schließlich die Coolness von Evelyn, einer Bekannten aus Schultagen. Diese Evelyn ist es auch, die als Gefängnispsychologin die Brieffreundschaft zwischen Susanne und dem Frauenmörder Andreas Vogel auf den Weg bringt.
Als die Spannung kräftig knisterte, tat Ulrike Bliefert, was Thriller-Autoren während einer Lesung tun sollten. Mit ihrem erfrischenden „Mehr wird aus diesem Buch nicht verraten!“ verschaffte sie allen Leserinnen und Lesern die Möglichkeit, das Geschehen ganz ungestört auf eigene Art und Weise weiter zu verfolgen.
Wieder einmal mehr zeigte sich an diesem Abend, was schauspielerisches Können gepaart mit guter Literatur ausmacht: Wer Stimme und Mimik auf professionelle Weise beherrscht, benötigt wenige Worte, um Stimmungen aufleben zu lassen. Dabei ist die Schauspielerin Ulrike Bliefert ein durch und durch sympathischer und nahbarer Mensch. Und sie mag Lesungen außerhalb der Metropolen. „Je kleiner die Orte, desto mehr hat man eine Beziehung zum Publikum und umso liebevoller und beglückender ist eine Lesung“, bekannte sie im Gespräch am Rande der Veranstaltung. Da dürfte unsere beschauliche, aber liebenswerte Region beste Voraussetzungen für eine gelungene Lesung mitbringen.
Wenn Sie nun auch Lust bekommen haben, auf Tuchfühlung mit bekannten Autoren zu gehen, dann schauen Sie sich doch einfach auf unserer Webseite um. Unter www.buch-volk.de finden Sie alle Termine der kommenden Monate im Überblick.
Ich freue mich auf ein Wiedersehen in unserer Buchhandlung.
Ihre und eure
Helga Volk