Der liebevoll hergerichtete Verkaufsraum der Buchhandlung Volk bildete den passenden Rahmen für die diesjährige Veranstaltung des Kulturvereins Recke in der Reihe „Literatur und Musik“. Die Literatur stand im Zentrum. Carolin Stuke und ihre Schülerin Sarah Nagelschmitz umrahmten mit ihren Querflöten im Duett gekonnt das gesprochene Wort und trugen so auch zur Entlastung bei für das aufmerksame Publikum. Eigentlich hatte die Reihe es sich zur Aufgabe gemacht, den aktuellen Nobelpreisträger für Literatur vorzustellen. Wegen der Querelen in Stockholm gibt es keinen aktuellen Preisträger. Deshalb hatte sich Klaus Pöppmann entschieden, die Kanadierin Alice Munro – die Preisträgerin von 2013 – vorzustellen und eine ihrer in sich geschlossenen Geschichten vorzulesen. Nach den wichtigsten Lebensdaten kam Munro in einem kleine Filminterview selbst zu Wort, in dem sie ihren Weg zum Schreiben beleuchtete. „Ich sorgte mich nicht darum, dass die Welt meine Geschichte nicht zur Kenntnis nahm, weil ich fühlte, dass sie zu einer Zeit veröffentlicht wurde, als ich noch über sie nachdachte.“ Munro denkt nach und lädt ein zum Nachdenken. Sie denkt nicht eindimensional und nennt ihre Geschichte deshalb „Dimensionen“. Kurz skizziert geht es um die Fahrt der Doree zu sich selbst. Sie besucht immer wieder ihren Mann, der weggeschlossen wurde in die Psychiatrie, weil er in seinem Wahn die drei Kinder des Paares ermordet hat. Geisteskrank und nicht schuldfähig, befindet ein Gericht. Als Auslöser für diese Tat hat Lloyd, der Täter, Doree identifiziert. Er behauptet, er habe die Kinder davor bewahren wollen, zu erfahren, dass ihre Mutter sie verlassen habe. Obwohl Doree weiß, dass sie nur kurz Hilfe bei Maggie gesucht hat und ihre Kinder nie verlassen hätte, gelingt es ihr zunächst nicht, sich aus seinem Bannkreis der falschen Bezichtigung zu befreien. So entwickelt sich eine bedrückende Geschichte. Doree ist weggezogen, nennt sich in ihrem neuen Umfeld nun mit ihrem zweiten Vornamen, Fleur, und macht einen Job, der viel Routine beinhaltet und bei dem sie nicht mit Leuten reden muss. So will sie mit dem Ereignis fertig werden, das jeden aus der Bahn geworfen hätte. Aber sie nimmt auch immer wieder die Busreise zu ihrem Mann auf sich. Klaus Pöppmann gelingt es, mit klarer Stimme das Auf und Ab der Geschichte zu gestalten. Mehr als eine Stunde hängen die Zuhörer an seinen Lippen, als er mit großem Einfühlungsvermögen Dialoge und erzählende Stränge gestaltend und dramaturgisch höchst angemessen liest. Das war beeindruckende Vorlesekunst, die diese Geschichte in besonderer Weise lebendig werden ließ. Wie sehr die Präsentation angekommen war, wurde noch einmal in der kurzen Gesprächsrunde zum Abschluss deutlich, bei der die Erkenntnis herausgearbeitet wird, dass Doree sich in dem Moment befreien konnte, als sie die Busreise abbricht, weil sie spürt, dass sie ab sofort an anderer Stelle gebraucht wird. Allein dieser Schluss ist es wert, noch einmal nachgelesen zu werden.
Dimensionen aus:
Zu viel Glück: Zehn Erzählungen von Alice Munro
Text und Fotos: Reinhard Bamming